Schlüsselbegriffe der Achtsamkeit


Akzeptanz

Akzeptanz ist einer der drei von Carl Rogers als “Kernvariablen” beschriebenen Wirkfaktoren in der (Gesprächs-)Psychotherapie. Sie entspricht einer inneren Haltung des Therapeuten, in der jedes Verhalten und Denken des Patienten wohlwollend angenommen und willkommen geheißen wird.
Im Rahmen von Achtsamkeitspraxis wird diese Haltung der Akzeptanz nach innen in der Selbst-Beziehung aber auch nach außen geübt. Der Einübung dieser spezifischen Haltung ist ein Teil der transformatorischen Wirkung der Achtsamkeitspraxis zuzuschreiben. In der Entwicklung von Akzeptanz können 5 Stufen beschrieben werden.


Anfängergeist

Anfängergeist ist ein Begriff aus dem Zen. Er beschreibt eine Haltung, die Dinge so zu betrachten, als ob sie zum ersten Mal wahrgenommen würden, eine Haltung der Offenheit, der Unvoreingenommenheit, einer im besten Sinne kindlichen Neugier.
Das Gegenteil wäre, sich aus der Annahme heraus, etwas schon zu kennen oder zu wissen, für neue Erfahrungen zu verschließen. Die Dinge werden entsprechend den jeweiligen Vor- Urteilen verzerrt wahrgenommen oder interpretiert.


Autopilot

Autopilot oder genauer “Autopiloten-Modus” ist ein Zustand, in dem wir auf äußere und innere Reize automatisch reagieren, eingeschliffenen Verhaltens- und Denkmustern folgen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Der Begriff wurde von Kabat-Zinn geprägt.


Big Mind

Big Mind Prozess ist eine von Dennis Genpo Merzel Roshi in den späten 90er Jahren entwickelte Methode zur Arbeit mit Persönlichkeitsanteilen. Buddhistisches Wissen wird mit westlicher Psychologie kombiniert, um integrierte Bewusstseinszustände bis hin in den non-dualen Bereich zu erleben.
Es wird verschiedenen “dualistischen Stimmen” (skeptischen, kontrollierenden, ängstlichen, verletzten u.a.) Raum gegeben, dann werden “nicht-duale Stimmen” (big-mind, big-heart, heart-mind) eingeladen (Genpo Roshi 2008) nähere Information 


Disidentifikation

Disidentifikation ist der Prozess einer systematischen Unterscheidung des Wahrnehmenden, des Beobachters vom Wahrgenommenem, dem Beobachteten. Beispielsweise gelangen wir von einem “ich bin wütend”, von einer Identifikation mit der Wut durch konsequentes Beobachten zu einem “ich beobachte, wie sich etwas wie Wut im Bauch anfühlt”. Dies führt eben zu einer Disidentifikation von der Wut, eine Identifikation mit dem gelassenen oder unberührbaren “Inneren Beobachter” wird möglich. “Ich bin der, der beobachtet”.
Disidentifikation ist ein wesentlicher transformatorischer Wirkmechanismus der Achtsamkeitspraxis. Die Loslösung von Identifikationen, die Disidentifikation ist wesentlicher Teil jeder Persönlichkeitsentwicklung, insbesondere in transpersonale Bereiche.
Geprägt wurde dieser Begriff ursprünglich von R. Assagioli im Rahmen der von ihm entwickelten “Psychosynthese”.


Holon, Holarchie

Holon ist ein Begriff für Ganzheit/Teil, also für etwas, was in sich selbst vollständig und ganz ist, zugleich aber Teil eines größeren Ganzen. Beispiele sind Atome, die Ganzheiten sind, aber zugleich auch Teil eines Moleküls sein können oder Moleküle, die Teil einer Zelle sein können. So kann auch eine Zelle wiederum Teil eines Organismus sein.
Ken Wilber, der diesen von Arthur Köstler geprägten Begriff verwendet, beschreibt Holarchien, das sind Hierarchien von Holons, bei denen jeweils das höhere die niedereren einschließt. Das von Wilber beschriebene Entwicklungs-Prinzip heißt “include and transcend”, d.h. die Integration mehrerer Holons führt zu einem neuen Holon. Dieses hat neue, emergente Eigenschaften, die aus den Eigenschaften der Einzelteile heraus nicht vorhersagbar und erklärbar sind.


Der innere Beobachter

Der “Innere Beobachter” ist eine fiktive innere Instanz, die sich im Rahmen von Achtsamkeitspraxis durch konsequentes, regelmäßiges Einnehmen der Beobachterhaltung entwickelt. Bestimmte Zustände werden leichter abrufbar und stabiler, in denen es gelingt, gelassen und wohlwollend akzeptierend nach innen, auf die eigenen Persönlichkeitsanteile zu blicken, aber auch die Außenwelt zu betrachten, allem Raum zu geben, nichts “weghaben” zu wollen.

In verschiedenen Psychotherapieschulen gibt es unterschiedliche Namen für diese durch “therapeutische Ich-Spaltung” (Sterba) entstehende, beobachtende Instanz: Selbst (Schwartz), Dirigent (Assagioli), Pilot (Pesso), Innerer Beobachter (Kurtz) und Hidden observer (Hilgard).

Durch zunehmende Identifikation mit dem Beobachter kann es gelingen es immer weniger von schwierigen Zuständen “überwältigt” (Schwartz) oder “entführt” (Goleman) zu werden bzw. von ihnen “zurückzutreten” (Linehan).


Mitgefühl

Im buddhistischen Sinn bezieht sich Mitgefühl auf eine akzeptierende Haltung gegenüber leidenden Wesen. Mitgefühl beinhaltet den Wunsch, dem leidenden Wesen möge es besser gehen, womit Mitgefühl weniger als Emotion, sondern eher als Motivation verstanden wird. Der Mitfühlende bleibt in einem ruhigen, warmen und wohlwollenden Zustand, ohne dass in ihm ähnliche Gefühle auftauchen wie bei jener Person, für die er Mitgefühl empfindet. Dass sich Mitgefühl von Mitleid und Empathie unterscheidet, zeigen auch die Aktivierungsmuster im Gehirn (link).

Ein integrierendes Verständnis von Mitgefühl umfasst fünf Facetten (Strauss et al 2016):

1. Das Erkennen von Leiden.
2. Ein Verständnis von Leiden als universelle Gemeinsamkeit aller Menschen.
3. Ein Gefühl von emotionaler Verbundenheit mit der leidenden Person.
4. Die Fähigkeit, eventuell auftauchende unangenehme Gefühle aushalten zu können.
5. Die vorhandene Motivation, dieses Leiden zu mindern.

Im frühen Buddhismus gilt Mitgefühl als einer der vier „himmlischen Verweilzustände“: Mitgefühl, Liebende Güte, Mitfreude und Gleichmut. Das Ziel der Geistesschulung besteht dort in einer Balance zwischen diesen vier Zuständen. So gelte es, Gleichmut zu üben, wenn etwa durch die Praxis der Liebenden Güte die Anhänglichkeit wächst. Wenn eine übermäßige Betonung des Gleichmuts zu Gleichgültigkeit führen könnte, wechselt man zur Kultivierung von Mitgefühl. Wenn man sich die Leiden der Welt übermäßig bewusst macht, bestehe bei Anfängern die Gefahr, auszubrennen oder depressiv zu werden. In diesem Fall möge man dazu übergehen, die Mitfreude an positiven Aspekten des Erlebens und am Glück anderer zu kultivieren (Goleman 2003).

[mehr]


Monkey Mind

Monkey-Mind oder “Affengeist” ist eine buddhistische Beschreibung unserer mentalen Prozesse, die in der Regel durch Unstetheit und hohe Ablenkbarkeit gekennzeichnet sind. Wie ein Affe springt unsere Aufmerksamkeit von Baum zu Baum, kostet dort von einer Frucht, dort von einer anderen, kommt nie zur Ruhe. Jeder Aussenreiz führt zu einer Reaktion.
Geistestraining durch Achtsamkeit bedeutet in dieser Metapher die “affenartige” Natur unseres Geistes zu erkennen, um ihn anschließend bzw. immer wieder zu “zähmen”. Der Affe wird dazu gebracht, an einem Ort zu verweilen, eine Frucht auszukosten.


Neuroplastizität

Neuroplastizität beschreibt die lebenslange Fähigkeit von Nervenzellen im menschlichen Gehirn, benutzungsabhängig immer wieder neue Verknüpfungen (Synapsen) zu bilden. Auf diese Weise können wiederholte Erfahrungen zu strukturellen Veränderungen im Nervenzellnetzwerk führen. Entsprechend dem “Hebb’schen Axiom” das lautet “Cells which fire together, wire together” bilden sich bei paralleler Aktivierung von Nervenzellen neue “Verdrahtungen”. Die “Hardware” unseres Gehirns verändert sich. Je häufiger bestimmte Nervenzellverbände genutzt werden, umso leichter wird die Aktivierung dieser Muster. Dies gilt für dysfunktionale Muster aber auch für erstrebenswerte Erlebens- und Vrhaltensweisen, wie den Zustand von Achtsamkeit.

Rick Hanson entwickelte in Programm zum Training positiver Neuroplastizität (PNT).


Präfrontaler Cortex

Der präfrontale Cortex ist ein Teil der menschlichen Gehirnrinde, dem eine besondere Rolle in der Lenkung von Aufmerksamkeit, aber auch andere bedeutsame Funktionen zugeschrieben werden (nach Siegel 2007):

  1. Regulation von Körperfunktionen im Sinne einer Balance von Aktivierung und Ruhe,
  2. Aufeinander abgestimmte interpersonale Kommunikation,
  3. Selbst-Regulation von Gefühlen, emotionale Balance zwischen Über- und Unteraktivierung,
  4. Antwort-Flexibilität: Die Fähigkeit nicht unmittelbar und automatisch auf Reize zu reagieren, sondern inne zu halten,
  5. Einfühlung (Empathie) durch die Binnenwahrnehmung von Resonanzphänomenen im Kontakt mit anderen Menschen,
  6. Einsicht und Bewusstsein unserer Selbst,
  7. Angst-Modulation über Hemmung tieferer Zentren (Mandelkerne), die für die Einschätzung von Situationen hinsichtlich ihrer Gefährlichkeit verantwortlich sind,
  8. Intuition,
  9. Ethisches Bewusstsein.

Selbstmitgefühl

Es fällt auf, dass viele Funktionen, welche im Rahmen der Achtsamkeitspraxis geübt werden, jenen entsprechen, die dem präfrontalen Cortex zugeschrieben werden. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass einige der nachgewisenen Veränderungen speziell in diesem Bereich zu finden sind.

Wenn die wohlwollende Aufmerksamkeit eines Menschen auf ein leidendes Wesen trifft, entsteht natürlicherweise Mitgefühl. Wenn sie auf eigenes Leiden trifft, entsteht Selbstmitgefühl. Nach einem buddhistisch inspirierten Konzept lassen sich beim Selbstmitgefühl (Self-Compassion) drei Dimensionen unterscheiden (Neff 2012):

  1. Die erste ist Freundlichkeit und eine verstehende Haltung dem eigenen Leiden sowie jenen Anteilen gegenüber, die einem selbst als ungenügend erscheinen. Diese Haltung bildet den Gegenpol zu Selbstkritik und Selbstverurteilung.
  2. Die zweite Dimension ist menschliche Verbundenheit. Im Sinne der buddhistischen Psychologie werden leidvolle Erfahrungen als ein unvermeidbarer Teil des menschlichen Lebens verstanden, als das Resultat eines komplexen Zusammenspiels vieler innerer und äußerer Ursachen. Im Gegensatz dazu fühlen sich viele Menschen für ihr eigenes Unglück verantwortlich, sie entwickeln Schuldgefühle, schämen sich und erleben sich als von anderen, vordergründig glücklichen Menschen getrennt und isoliert.
  3. Der dritte Aspekt beschreibt ein achtsames Gewahrsein auch von schmerzhaften Empfindungen, Gefühlen und leidenden Persönlichkeitsanteilen, allerdings ohne sich in übermäßiger Weise mit ihnen zu identifizieren.

[mehr zu Selbstmitgefühl]

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner